Bericht von der 16. K3/C3 Tagung der DGMK - Kunststoffzirkularität durch Chemisches Recycling in Schwechat am 17./18. September 2024
Die Geschäftsführerin der DGMK, Gesa Netzeband, eröffnete die Veranstaltung mit mehr als 60 Teilnehmer*innen mit einem Verweis auf die besondere Location – die Tagung fand in der Raffinerie Schwechat statt – und einem herzlichen Dank an die OMV als Gastgeberin und die Eventpartner ÖGEW und Plastics Europe. Dann sprach Michael Bender (BASF) Grußworte im Namen des Fachbereichs Konversion von Kohlenstoffträgern und belegte die große Relevanz des Themas mit dem zunehmenden Bedarf an Rohölalternativen in der Kunststoffproduktion.
Otmar Schneider, der Leiter Raffinerie, beschrieb Schwechat in seiner Ansprache als Standort im Wandel, und verwies auf die eingebundene 10 MW Elektrolyse, sowie das Co-Processing von Biomasse und das Chemische Recycling. Möglich wird dies durch die eigene Forschungsabteilung, in der diverse eigene Patente entwickelt wurden.
Vorfreude auf die Führung durch die Anlagen
Mittlerweile war es recht warm geworden und die geöffneten Türen ließen nicht nur frische Luft herein, sondern gaben auch den Blick auf die Anlagen frei, auf Rohrleitungen und Tanks und schürten die Vorfreude auf die Tour zur ReOil Anlagen am folgenden Tag.
Den Rahmen für das technische Programm setzte Alexander Kronimus (Plastics Europe), indem er Prognosen zum kommenden Kunststoffbedarf und einen Überblick über die verschiedenen Recyclingrouten teilte und daraus folgend die Forderung nach Design for Recycling in den Raum stellte. Peter Quicker konnte dieses Petitum nur unterstreichen, hatte er sich doch für seine Arbeiten direkt die schmutzigsten Abfallfraktionen ausgesucht (u.a. stark schwermetallbehaftet) und verschiedene Routen getestet. Seine zwei Take-away messages:
1) Keine Technik diskriminieren, solange CO2-Emissionen die Alternative sind.
2) Raffinerien sind die perfekten Standorte für chemisches Recycling, weil auch Nebenprodukte noch genutzt werden können
Digitaler Zwilling und Wasserstoff aus Abfall
Während Jens Kaltenmorgen (TU Darmstadt) die Entwicklung eines digitalen Zwillings basierend auf Sensordaten am Piloten darlegte und den Nutzen bei der Modellierung der folgenden Skalierungsschritte, war der nächste Speaker, Thorsten Liese (RWE Power AG) schon mitten drin in der Planung einer kommerziellen Waste-to-Hydrogen-Anlage in den Niederlanden. Nach Plan wird hier bald im Industriemaßstab CO2 reduziert.
Der speziellen Gruppe der Polyurethane (bekannt von Matratzenschaum und Sneaker-Sohlen) nahm sich Thomas Müller (Ruhruni Bochum) in seiner Keynote an und stellte Ansätze vor, die langkettigen Moleküle so aufzubrechen, dass eine Weiternutzung sinnvoll möglich wird. Mit solch langlebigen Kunststoffen beschäftigt sich auch Marcus Lehnertz (RWTH Aachen), der zur Motivation das Bild einer fast perfekt erhaltenen Prilflasche aus den 1960ern zeigte, die von einer Mülldeponie stammte. Seine Arbeit befasste sich mit Katalysatordesign, um auch diese Stoffe künftig rezyklierbar zu machen.
Mit dem Projekt H2Cycle (Hydrocycling) küssen die BASF und ihre Projektpartner eine Technologie aus dem Dornröschenschlaf, mit der schon in den 1980ern bei der VEBA in Bottrop und bei der DEA in Wesseling synthetisches Rohöl gewonnen wurde. Verpackungsmaterial und weitere Abfälle, die nicht für mechanisches Recycling geeignet sind, werden hier eingesetzt und der Prozess einer umfassenden Lifecycle-Analyse unterzogen. Erstes Ergebnis: Reduktion des CO2 Footprints um 60 Prozent mit der Option auf mehr.
Den zweiten Konferenztag eröffnete Stefan Pirker von der OMV mit einer Erinnerung an den Sirenen-Alarm um 10:00 Uhr – für die einen nur ein notwendiger Test, für die anderen Teil der Erlebnisses, in einer Raffinerie zu tagen.
Die erste Session begann mit Beiträgen von AirLiquide. In seinem Intro stellte Sebastian König die unterschiedlichen Syntheserouten für Grünes Methanol aus Plastik-Recycling dar und verglich die entsprechenden CAPEX, Yield und LCOM (Leveraged costs of methanol). Die Skalierung der Elektrolyseur-Anlagen von 1,25 MW (2018) auf 20 MW (2023) und geplanten 200 MW (2026) zeigt an, welchen Hochlauf die Produktion von Grünem Methanol erfährt.
Die Wirtschaftlichkeit von Methanolsynthese im flexiblen Betrieb nahmen Tamara Korkut und Florian Pontzen unter die Lupe, indem sie nur bei niedrigem Strompreis den zusätzlichen Elektrolyseprozess modellierten, bei sehr hohem Strompreis eine Stromerzeugung und für ca. 80 Prozent der Betriebsstunden konventionelle Methanolsysnthese. Unter aktueller Regulatorik braucht es leider für den wirschaftlichen Betrieb einer solchen Anlage Co-Generation mit Biomasse.
“The biggest chemical company, that nobody knows”. Mit diesen Worten beschrieb Andreas Neumann LyondellBasell. Er zeigte eindrucksvoll auf, wie chemisches Recycling im großen Maßstab umgesetzt wird, am Beispiel der Standorte Ferrara (Italien) und vor allem Wesseling & Hürth/Knapsack, wo ein großer Verbundstandort (“Cologne Circular Hub”) entsteht. Er betonte, dass Europa zwar steuerlich im Nachteil ist gegenüber Nordamerika, aber dafür den Vorteil hat, gut im Sammeln und Sortieren von Plastikmüll zu sein.
Alter Hut in neuem Glanz
Frank Behrendt eröffnete die letzte Session zum Thema Pyrolyse mit der Bemerkung, dass diese Technologie zwar fast so alt wie Verbrennung, also quasi ein alter Hut sei, nun aber in neuem Glanz erstrahle.
Mathias Franke, Fraunhofer UMSICHT, setzte sich diesen alten Hut auf und richtete in seiner Keynote das Augenmerk zunächst auf Pre-Treatment, wie Sortierung (Tracer-based oder Digital Watermark), Waschung und Dichte-Trennprozesse. Auch im Post-Treatment bei der Destillation von Pyrolyse-Ölen kann die Konzentration von unerwünschten Elementen deutlich reduziert werden, wie er anhand von Analysedaten darlegte. Die Analytik von Pyrolyseöl stand auch bei Andreas Meiswinkl, Linde, im Fokus. Er erklärte, dass Pyrolyseöl z.B. eine größere Breite von Siedetemparaturen verglichen mit konventionellem Feedstock zeigt. Mit vielen Eigenschaften der Pyrolyseöle kann man gut umgehen, aber beispielsweise Chlor sollte auf unter 1 ppm reduziert werden, bevor das Öl in den Steamcracker geleitet wird. Nach der abschließenden Hydrierung, so berichtete der Referent, wird die deutliche Verbesserung der Qualität sogar optisch sehr deutlich, und das Öl ist dann hell und klar.
Mit Marco Tomasi Morgano (Arcus) fand ein Perspektivwechsel von Betreiber zu Technologie-Anbieter statt. Damit einher ging auch der Fokus weg von maximaler Energie-Effizienz und Ausbeute hin zu der Aufgabe, “einfach den gelieferten Müll zu verarbeiten”. Und diese Aufgabe ist gar nicht so simpel wie es klingt. Sehr offen berichtete der Referent über die Kinderkrankheiten der ersten Anlage. Unter anderem gab es Wärmeverluste im Ofen, und ein zu langsam reagierendes Kühlungssystem machte Probleme. Aber auch der sorgfältig ausgewählte Feed stock (wird als Produkt gehandelt, nicht als Abfall) war nicht ohne und brachte z.B. Steine und Metallstücke mit sich. Dennoch wurden Anfang 2024 die 1.000 kontiniuierlichen Betriebsstunden überschritten und innerhalb von vier Monaten konnte eine erste bestellte Anlage deutlich optimiert und gemäß Spezifikationen ausgeliefert werden.
Ankommen in der Realität
Die Qualität des Feedstocks war auch das Thema von Tobias Rieger vom Fraunhofer UMSICHT, wie er erklärte, “ist die Fraktion MPO323 (gemischte Polyolefin-Kunststoffabfälle) nicht gleich MPO323” und auch andere Abfallgruppen können sehr unterschiedlich ausfallen. Trotz erfolgreicher Dekontaminationsverfahren konnten theoretisch berechnete Ausbeuten der Realität nicht standhalten. Zusammenfassend berichtete der Vortragende, dass zwar nur ca. 25 Prozent raffinerietaugliches Öl erzeugt werden konnte, aber auch über 20 Prozent Monoaromaten, die ebenfalls einen nicht zu vernachlässigenden Marktwert haben und als Produkt gehandelt werden können.
Im letzten Vortrag des Tages erklärte Stefan Pirker, dass die ReOil Anlage ein Baustein der größeren Strategie von OMV ist, als Konzern führend zu werden als integrated sustainable fuels, chemicals and materials company. Nach seinen Erklärungen und erst recht nach der Tour durch die Raffinerie wird klar: Die meinen das ernst. Die Installationen für die Zuleitung in die großen Anlagen sind bereits angelegt. Oder im O-Ton: ”Mit ‘ner Demoanlage werden wir nicht die Welt retten”.
Frank Behrendt (TU Berlin) fand die passenden Schlussworte, indem er feststellte, dass die starke Beteiligung aus der Industrie an der Tagung deutlich zeigt, dass das Tagungsthema einen Nerv getroffen hat.