Um Verfahren und Projekte zur Verringerung der CO2-Emissionen der Energiewirtschaft und der Industrie ging es bei der Herbsttagung der ÖGEW und der DGMK in Wien
Unter dem Titel „Jedes Molekül zählt“ stand heuer die Herbsttagung der ÖGEW und der DGMK in Wien. Diskutiert wurden dem Untertitel der Veranstaltung gemäß in erster Linie „Industrieprojekte zur CO2 Vermeidung, Nutzung, Lagerung, Transport, Abscheidung und Speicherung“. Laut ÖGEW-Präsident Reinhard Oswald kann die Energiewende „nur im Schulterschluss zwischen Industrie und Politik“ gelingen. Die Unternehmen seien bereit, ihren Beitrag zu leisten, bräuchten aber klare Rahmenbedingungen. Dies bekräftigte auch Jürgen Rückheim, der Fachbereichsleiter Geoenergiesysteme und Untertagetechnologien der DGMK. Ihm zufolge ist ein „echter Hochlauf“ von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) in Deutschland „in weiter Ferne“. Dennoch müsse die Industrie „mit aller Kraft und allem Know-how investieren“. Die DGMK könne ihr „ein kompetentes Netzwerk zur Seite stellen“. Aussagen, die die generelle Stimmungslage bei der Konferenz auf den Punkt brachten.
Die Strategie der OMV
In Vertretung des wegen des russischen Gaslieferstopps verhinderten OMV-Vorstands Berislav Gaso erläuterten Hendrik Mosser, bei dem österreichischen Konzern für Exploration zuständig, und Otmar Schneider von der OMV Downstream GmbH, strategische Projekte ihres Unternehmens für dessen im Gang befindliche Transformation. Laut Mosser plant die OMV, bis 2050 entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Summe klimaneutral zu werden. Sie wolle weiter Öl und Gas fördern - als Ausgangsstoff für chemische Materialien. Im Chemiegeschäft setze die OMV auf Expansion und baue einen „Low Carbon Business“-Bereich auf. Schneider ergänzte, an „erneuerbaren Kraftstoffen“ wolle die OMV ab 2030 rund 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr erzeugen, davon 750.000 Tonnen an „Sustainable Aviation Fuels“ (SAF).
E-Fuels in Europa
Einen Ausblick auf die langfristigen Entwicklungen im Bereich E-Fuels in Europa bot Ina Chirita, Associate Director Biofuels bei Standard & Poors Global. Ihr zufolge befinden sich die meisten Verfahren zu deren Herstellung auf dem Technology Readyness Level (TRL) 7 oder noch niedrigeren Stufen, sind also kaum marktreif. Und die wirtschaftlichen Herausforderungen seien sind nicht zu unterschätzen. Zurzeit kosten E-Fuels etwa vier- bis fünfmal so viel wie konventionelle Kraftstoffe. Die EU und Großbritannien haben laut Chirita die am weitesten entwickelten einschlägigen Fördersysteme und fokussierten dabei mit gutem Grund auf die SAF: „Die weltweite Nachfrage nach SAF könnte bis 2050 auf rund 17 Millionen Tonnen steigen.“
VW auf dem Weg zur Klimaneutralität
Über „Potentiale regenerativer Kraftstoffe zur Erreichung der Klimaneutralität im Verkehr“ berichtete Thomas Garbe von VW. Ihm zufolge untersuchte die Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV), der er angehört, unterschiedliche Technologien, um die CO2-Emissionen im Verkehr substanziell zu verringern. Das Ergebnis: „Wir brauchen einen Technologiemix, um die politisch vereinbarten Ziele zu erreichen.“ Für VW seien batterieelektrische Fahrzeuge die erste Wahl, doch fänden auch andere Technologien Beachtung. Als „absoluten Sweetspot für den europäischen Markt“ bezeichnete Garbe E20, das sich in bestehenden Motoren problemlos verwenden lasse. Grundsätzlich sind laut Garbe Biofuels kurzfristig verfügbar, haben aber ein begrenztes Potenzial. E-Fuels wiederum werden voraussichtlich erst auf längere Sicht verfügbar sein, aber ihr Potenzial ist wesentlich größer.
Coprocessing für Raffinerien
Laut Michael Schindler von der OMV Deutschland Operations GmbH & Co. KG ist Coprocessing für Raffinerien „ein guter Einstieg in die Dekarbonisierung“. Sein Unternehmen habe sich 2016 zum Einstieg für die Erzeugung Hydrierten Pflanzenöls (HVO) entschieden. Als Rohstoffe fänden unter anderem Altspeiseöl, Altspeisefette und Nussschalenöle Verwendung: „Damit vermeiden wir die Tank-Teller-Diskussion.“ Das Coprocessing als Herstellungsverfahren wählte die OMV, weil sich dieses gut in Raffinerien integrieren lässt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft der Betrieb seit Juni des heurigen Jahres erfolgreich. Laut Schindler ist HVO „ein Edelkraftstoff“. Außerdem sei es ein „transformativer Stoff für die OMV“, der auch chemisch gut genutzt werden könne.
„Green Ammonia“ in Linz
Mit dem Elektrolyseprojekt „Green Ammonia Linz“ befasste sich Robert Schlesinger, der bei der LAT Nitrogen Linz GmbH für Energie- und Klimaprojekte zuständig ist. Sein Unternehmen ist derzeit der größte Wasserstofferzeuger und -verbraucher Österreichs. Die Produktion liegt bei rund 100.000 Tonnen pro Jahr. Im Zuge von „Green Ammonia Linz“ will die LAT gemeinsam mit Österreichs größtem Stromkonzern Verbund rund 7.000 Tonnen „grünen“ Wasserstoff pro Jahr erzeugen. Dazu errichtet sie einen Elektrolyseur mit etwa 60 MW Leistung. Um den „grünen“ Wasserstoff kontinuierlich nutzen zu können, installiert sie ferner einen Wasserstoffspeicher mit fünf Tonnen Volumen. Nun gelte es, die Kosten für den „grünen“ Wasserstoff zu senken. Auch sei die Bereitschaft der Kunden, allfällige Mehrkosten zu tragen, essenziell.
E-Methanol: Pioniere in Dänemark
„Pioneering Carbon Capture Solutions for Sustainable Transportation and Chemical Industries“ war der Titel des Vortrags von Eberhart Wusterhaus von der britischen Carbon Clean, die auf die Dekarbonisierung von Industrieanlagen spezialisiert ist. Er verwies auf Berechnungen des Methanol Institute, denen zufolge 2050 weltweit rund 112 Millionen Tonnen E-Methanol benötigt werden dürften, nicht zuletzt für SAF. Im Februar 2024 kündigte Carbon Clean an, mit Partnern in Dänemark ein „E-Fuel Design & Performance Centre“ (DPC) zu errichten. Dieses soll schlüsselfertige E-Methanol-Fabriken für den weltweiten Einsatz entwickeln. Laut Wusterhaus sollte die Politik E-Fuels als Mittel zur Dekarbonisierung der Industrie anerkennen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.
Dichtheit von Lagerstätten
Den aktuellen Stand beim von der EU geförderten Projekt „RETURN: Reusing depleted oil and gas fields for CO2 sequestration“ schilderte Taofik Nassan von der TU Bergakademie Freiberg. Das Vorhaben läuft bis Ende Dezember und dient dem Verständnis, wie niedrige Temperaturen sowie Temperaturschwankungen in den potenziellen unterirdischen CO2-Lagerstätten die Speicherbarkeit beeinflussen. „Wenn man CO2 in geologischen Formationen einspeichert, sinkt die Temperatur in diesen Lagerstätten. Außerdem reagiert das CO2 mit den Materialien, die bei den Bohrungen und deren Abdichtung verwendet werden“, erläuterte Nassan. Die Ergebnisse von RETURN seien aber vielversprechend: Es habe sich gezeigt, dass Zementabdichtungen der Lager im Wesentlichen ihren Zweck erfüllen.
Neuer Weg bei DAC
Einen neuen elektrochemischen Ansatz zur Filterung von CO2 aus der Luft (Direct Air Capture, DAC) verfolgt die Phlair GmbH (Carbon Atlantis) mit Sitz in Ismaning etwa sieben Kilometer nordöstlich von München, berichtete Geschäftsführer Paul Teufel. Ihr sogenannter „Hydrolyzer“ erzeugt mithilfe von Strom, Wasser und Salz hochreines CO2, das entweder in geologischen Formationen gespeichert oder zur Produktion „CO2-negativer“ Chemikalien genutzt werden kann. Eine Pilotanlage wird derzeit in Betrieb genommen. Die erste kommerzielle Anlage soll in Kanada errichtet werden. Laut Teufel ist die Technologie modular konzipiert, was ein rasches Upscaling erlaubt.
SouthH2 Corridor bringt Wasserstoff
Die sinnvollste Option zum notwendigen Import von „grünem“ Wasserstoff nach Europa und Österreich sind Pipelines, berichtete Stefan Wagenhofer, der Geschäftsführer des Fernleitungsunternehmens Gas Connect Austria (GCA). Eines der für Österreich wichtigsten Projekte ist der rund 3.300 Kilometer lange „SoutH2 Corridor“. Der Löwenanteil von 2.300 Kilometern entfiele auf die italienische Snam, die etwa 27 Prozent der Trasse neu errichten müsste. In Österreich wäre ein 380 Kilometer langer Strang der Trans-Austria-Gasleitung umzuwidmen. Die GCA hätte Pipelines mit 340 Kilometern bereitzustellen, von denen 200 Kilometer neu zu bauen wären. Auf die Bayernets schließlich kämen 294 Kilometer, davon 14 im Neubau. Wasserstofferzeuger wollen laut Wagenhofer jährlich rund 2,5 Millionen Tonnen auf dem SouthH2 Corridor transportieren.
Batteriespeicher für Deutschland
Der österreichische Stromkonzern Verbund sieht nicht zuletzt Großbatterien als „Enabler der Energiewende“, konstatierte Martin Wagner, der Geschäftsführer der Handels- und Vertriebsgesellschaft Verbund Energy4Business. Die Batterien dienen vor allem dazu, kurzfristige Über- sowie Unterdeckungen des Strombedarfs auszugleichen. In Deutschland und Österreich betreibt der Verbund derzeit 15 Batteriespeicheranlagen mit 110 MW Gesamtleistung und 130 MWh Speicherkapazität. Darunter sind die Batteriespeicherkette Thüringen mit 20 MW Leistung und 23 MWh Speicherkapazität, die Batteriespeicherkette Nordbayern mit 42 MW sowie 48 MWh und die Batteriespeicherkette Bayern-Hessen mit 44 MW sowie 55 MWh. Geplant ist, bis 2030 Anlagen mit insgesamt 1 GW Leistung zu errichten.
CCS in Österreich …
Über die mögliche Rolle von CCS als Teil der Carbon-Management-Strategie Österreichs berichtete Holger Ott, Professor an der Montanuniversität Leoben. Ott zufolge muss Österreich voraussichtlich Emissionen im Ausmaß von elf bis 59 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr mit CCS bewältigen. Wie er und seine Mitarbeiter feststellten, lassen sich in den österreichischen Kohlenwasserstofffeldern insgesamt rund 200 bis 300 Millionen Tonnen speichern. Das Potenzial der tiefen Aquifere liegt im Gigatonnen-Bereich. Längerfristig könnten etwa 100 Gigatonnen exportiert und in Unterseeformationen gelagert werden. Die Voraussetzung für alle Vorhaben ist die für 2025 geplante Aufhebung des Verbots kommerzieller CCS-Projekte in Österreich, konstatierte Ott.
… und in der Nordsee
Die OMV arbeitet bereits an CCS-Vorhaben in der norwegischen Nordsee, berichtete Veronika Ruthensteiner von OMV Energy. Mit Aker BP betreibt sie das Projekt „Poseidon“ zur Einspeicherung von fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ab 2030. Das zweite Vorhaben trägt die Bezeichnung „Iroko“ und läuft gemeinsam mit Var Energi sowie Lime Petroleum. Ab 2031 wollen sie rund 7,5 Millionen Tonnen pro Jahr einspeichern. Auch nimmt die OMV an der österreichisch-bayrischen CO2-Exportinitiative teil. Vorgesehen ist, ab 2034 rund 8,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in norwegischen Unterseeformationen zu lagern. Elf Partner, darunter Emittenten sowie Pipeline- und Speicherbetreiber, haben dazu ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet.
Hard to abate
Die Wien Energie muss rund eine Million Tonnen CO2 aus thermischen Abfallverwertungsanlagen mit Technologien wie CCS behandeln. Laut dem zuständigen Referenten, Wolfgang Schwarz, hat man sich zum Ziel gesetzt, die erste diesbezügliche Anlage in den frühen 2030er Jahren in Betrieb zu nehmen. Rund 40 Prozent des von den Müllverbrennungsanlagen emittierten CO2 stammen laut Schwarz aus fossilen Quellen und sind nicht vermeidbar („hard to abate“). Welche Technologie die Wien Energie zur CO2-Abscheidung aus den Müllverbrennungs-Abgasen nutzt, ist noch offen. Schwarz hält es aber für nötig, Wettbewerb zwischen den Anbieter entsprechender Verfahren zu generieren, um die Kosten zu senken. Und ohne Förderungen der öffentlichen Hand seien einschlägige Vorhaben vorerst nicht realisierbar.