Seit Mittwoch, 27. April morgens, liefert Gazprom Export kein Erdgas mehr an die polnische staatliche Gasgesellschaft PGNiG und die bulgarische Staatsgesellschaft Bulgargaz. Die Einstellung der Lieferungen war schon am Dienstag gegen 17 Uhr bekannt geworden. Direkt im Anschluss an die Meldung war der Preis für den Front-Monat Mai an der niederländischen TTF von rund 90,00 auf 107 Euro/MWh gestiegen. Er fiel dann aber schnell wieder auf 100,00 Euro/MWh. Am Mittwoch ergab sich das gleiche Bild. Morgens reagierte der Markt relativ stark, der Preis für Mai stieg bis auf 118,00 Euro/MWh, ehe er wieder auf rund 106,00 Euro/MWh nachgab. Am Donnerstag, den 28. April, wurde der Frontmonat Mai am Nachmittag mit 100,00 Euro/MWh gehandelt: „Es macht sich keine Panik breit“, sagte ein Händler. Die Marktteilnehmer sind weniger über den direkten Stopp der russischen Lieferungen besorgt, sondern über die möglichen Konsequenzen für russische Gaslieferungen an andere europäische Abnehmer.
Im Kern geht es dabei um die Frage, wie die Lieferungen von Gazprom Export zu bezahlen sind. Ende März hatte die russische Regierung ein Dekret erlassen, dass in Zukunft nur noch Zahlungen in Rubel akzeptiert werden. In den Verträgen ist üblicherweise die Zahlung in US-Dollar oder Euro vereinbart. Die Bezahlung in Rubeln soll, so die Interpretation europäischer Beobachter, den Rubelkurs stützen und Gazprom Export sowie dem russischen Staat Zugriff auf die Einnahmen ermöglichen. Direkt nach Veröffentlichung des Dekrets hatte es große Verunsicherung gegeben, wie und ab wann die Zahlungen in Rubel zu leisten sind und ob die Kunden von Gazprom Rubelzahlungen überhaupt leisten können und wollen. Im Laufe des Aprils wurden dann die Spielregeln zunehmend klar. Die Gazprom-Kunden müssen bei der Gazprom-Bank zwei Konten haben oder eröffnen; ein Konto für die Fremdwährung und ein Rubelkonto. Auf das Währungskonto werden dann die Rechnungsbeträge in US-Dollar oder Euro eingezahlt. Gazprom-Bank tauscht die Währungsbeträge dann bei der russischen Zentralbank in Rubel und zahlt die Rubelbeträge an Gazprom Export. Gemäß Leitlinien der EU-Kommission vom 21. April ist dieses Procedere mit den europäischen Sanktionsbestimmungen im Einklang. Formal zahlen die Unternehmen weiter in US-Dollar oder Euro, wenn sie erklären, dass mit dieser Zahlung die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung erfolgt. Diese sanktionsgerechte Ausgestaltung der Zahlungsmodalität, wenn die Unternehmen darauf beharren, ihre Zahlungsverpflichtung in Euro oder US-Dollar geleistet zu haben, wurde vom Bundeswirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung direkt nach Einstellung der Belieferung Polens und Bulgarien bestätigt. Wobei, 100 Prozent klar ist am Ende nicht, welches Vorgehen genau sanktionskonform ist und welches nicht (siehe Beitrag auf Seite 4).
PGNiG und Bulgargaz sollen aber diesen „Zwei-Konten-Modell“ als Zahlungsmodalität nicht zugestimmt haben. Für Polen hat Wirtschaftsminister Robert Habeck dies bei einer Pressekonferenz am 27. April bestätigt (er war davor in Polen). Dies mag auch daran liegen, dass die Verträge beider Gesellschaften mit Gazprom Export zum Ende des Jahres auslaufen und nicht erneuert werden sollten. Bulgarien ist mit einer jährlichen Nachfrage von 3 Milliarden m3 ein kleiner Markt und wird bisher fast vollständig von Gazprom Export versorgt. Aber über eine neue Pipelineanbindung – die schon fertig sein sollte – nach Griechenland soll vor allem mehr Erdgas aus Aserbaidschan nach Bulgarien fließen. Schon 2013 hat Bulgargaz einen Vertrag über 1 Milliarde m3/a mit der staatlichen Gasgesellschaft Aserbaidschans, AGSC, abgeschlossen. Polen verfolgt schon seit Jahren die Strategie einer vollständigen Unabhängigkeit von russischem Gas. Das LNG-Terminal in Swinemünde wurde bereits 2015 eröffnet, die Kapazität wird aktuell von 5 auf 7,5 Milliarden m3 erweitert. Zudem soll bis zum Herbst dieses Jahres die Baltic Pipeline aus Norwegen fertiggestellt sein, über die Polen bis zu 10 Milliarden m3/a norwegisches gas importieren kann.
Vor diesem Hintergrund ist offen, was denn der Stopp der Belieferung für die anderen Gazprom-Kunden bedeutet: „Gazprom hat sich zwei Unternehmen gesucht, mit denen ohnehin die Beziehungen enden, um zu testen, wie denn Europa reagiert“, lautete eine Einschätzung aus dem Umfeld des BMWK. Marktteilnehmer teilten diese Einschätzung teilweise. „Im Grunde versucht Gazprom Export doch schon seit längerem, die Unsicherheit zu erhöhen und damit auch Preise nach oben zu treiben“, lautete ein anderer Kommentar. Es gab aber auch durchaus Stimmen, die den Schritt von Gazprom Export als ersten Schritt einer Einstellung von Lieferungen auch gegenüber anderen Kunden ansehen. Es wird vermutlich davon abhängen, wie die Umsetzung des Zwei-Konten-Modells funktioniert und welches Verhalten dann von Gazprom als Erfüllung der Rubelzahlung akzeptiert wird. Uniper, der wohl größte Gazprom-Kunde in Westeuropa, erwartet, dass das System funktionieren wird. Dies sagte Finanzvorständin Tiina Tuomela in einem Analystengespräch anlässlich der Präsentation der Zahlen für das erste Quartal 2022. Die Zahlungen werden um den 20. Mai fällig.
Ohne großen öffentlichen Rummel gibt es noch einen weiteren Fall, in dem Gazprom die Annahme von Zahlungen verweigert hat. Gegenüber Gazprom Marketing & Trading (GM&T), der englischen Handelstochter von Gazprom Export, hat das russische Unternehmen die Annahme einer Zahlung für Lieferungen nach Österreich und Deutschland verweigert. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg hat GM&T angeblich sogar das Rubel-Konto genutzt. GM&T ist eine direkte Tochter von Gazprom Germania und steht derzeit unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur. Habeck kennt den Fall auch und hat auf ihn während einer Pressekonferenz verwiesen. Die Menge sei klein und könne von GM&T am Markt beschafft werden. Aber auch dieser Fall ist laut Habeck kein Hinweis darauf, dass Gazprom Export die Annahme von Zahlungen verweigern wird, wenn sie nicht eindeutig in Rubel erfolgen.
Es werden unsichere Tage. Noch sind die Transitflüsse aus Russland normal. Über die Jamal Nord, der Transitroute durch Belarus und Polen nach Deutschland, über die auch Polen einen Teil seines russischen Gases bezieht, fließt schon seit Dezember nur noch sporadisch Erdgas nach Deutschland. Aber seit dem Stopp der russischen Lieferungen nach Polen, fließt am polnisch-deutschen Grenzübergangspunkt Mallnow, dem Ende der Jamal Nord, Erdgas nach Polen unter fast vollständiger Nutzung der verfügbaren technischen Kapazität in West-Ost-Richtung.
Siehe zum Thema:
EID Gasmarktbericht: Russischer Lieferstopp beschäftigt Gashandel
Nach russischer Lieferstopp-Ankündigung: Gasflüsse über Jamal-Leitung nach Polen unklar