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TECHNOLOGIE & TRANSFORMATION VON FOSSILEN UND GRÜNEN ENERGIETRÄGERN TECHNOLOGY & TRANSFORMATION OF FOSSIL AND GREEN ENERGIES

Bild: Bundeskanzleramt

LNG aus Afrika, eine Alternative zu russischem Gas?

Deutschland und die EU wenden sich wieder stärker den Ländern Afrikas zu, um Alternativen zu russischem Gas zu schaffen. Sie werden dabei finanzielle und politische Risiken übernehmen müssen.

Bundeskanzler Olaf Scholz war Ende Mai im Senegal. Er hat mit der dortigen Regierung unter anderem über den Bezug von LNG aus dem Land gesprochen. Wenige Tage nach der Senegal-Visite sagte Scholz beim BDEW-Kongress in Berlin, es sei „deutlich berechenbarer, durch den Aufbau neuer Lieferketten für LNG Versorgungssicherheit zu schaffen, als in einen permanenten Verdrängungswettbewerb am Weltmarkt einzusteigen. Damit stellt sich die Frage, welchen Beitrag Afrika beim Aufbau solcher neuen Lieferketten leisten kann. „Einen großen“, sagte der Vorsitzende der Afrikanischen Energiekammer NJ Ayuk in einem Interview mit n.tv, das von der Zeitschrift Capital abgedruckt wurde. Er hat Scholz im Senegal getroffen. Ayuk weist in dem Interview auf die großen Erdgasreserven Afrikas hin und auch auf die Bemühungen, die entsprechende Infrastruktur zu entwickeln, LNG-Terminals, aber auch Pipelines durch Afrika, die durch das Mittelmeer bis nach Südeuropa verlängert werden könnten. Ayuk nennt in dem Interview auch ein zentrales Problem: Die Finanzierung solcher Projekte. Zakaria Dosso, Geschäftsführer der African Energy Investment Cooperation sagte Anfang Juni in einem Interview, Afrika müsse faire und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen entwickeln, um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und alle Arten von Investitionen zu sichern.

Wie groß sind die Potenziale, welche Rolle spielt Afrika aktuell im globalen Gasmarkt? 2020 hat Afrika insgesamt 82 Milliarden m3 Erdgas exportiert, das entspricht einem Anteil von 8,8 Prozent am globalen Gashandel. Rund 56 Milliarden m3 wurden als LNG exportiert, 26 Milliarden m3 als Pipelinegas. Alle Zahlen stammen aus dem BP Statistical Review of World Energy 2021. Pipeline-Exporte kommen aus Libyen und Algerien nach Europa. Der mit Abstand größte Pipeline-Exporteur ist der staatliche algerische Gasproduzent Sonatrach, der knapp 12 Milliarden m3 Erdgas nach Italien und 9 Milliarden m3 nach Spanien verkauft. Im April dieses Jahres hatten Sonatrach und der italienische Energiekonzern ENI eine Vereinbarung unterzeichnet, die eine Erhöhung der Importe nach Italien ermöglichen soll. Zusätzliche Mengen fließen schon in diesem Jahr, ab 2023 oder 2024 sind bis zu 9 Milliarden m3 zusätzlich im Jahr geplant. Die entsprechenden Pipe­­line-­Kapazitäten sind vorhanden. Mit Spanien streitet Algerien gerade über Gaslieferungen. Eine der beiden Export-­Pipelines Algeriens nach Spanien verläuft durch Marokko und dann durch das Mittelmeer. Spanien will über diese Leitung Marokko mit Erdgas versorgen, was Algerien, das mit Marokko im Streit liegt, als Vertragsbruch ansieht. Algerien ist auch nach Nigeria der zweitgrößte afrikanische LNG-­Exporteur. 2020 hat das Land 15 Milliarden m3 Erdgas als LNG exportiert, gut die Hälfte der Menge, die Nigeria exportiert hat. Nummer drei der afrikanischen LNG-Exporteure ist Angola mit 6 Milliarden m3

Entwicklungschancen südlich der Sahara

Spannend sind vor allem die möglichen Entwicklungen südlich der Sahara. In einer ganzen Reihe von Ländern existieren Gasvorkommen, die einen Export ermöglichen. Zuletzt wurde von dem französischen Energiekonzern TotalEnergies ein größerer Fund in Namibia bekannt gegeben. In einem Bericht vom Februar dieses Jahres hatte die African Coalition for Trade and Investment (ACTING) die mögliche LNG-Exportkapazität südlich der Sahara bis 2030 auf 134 Millionen Tonnen LNG (rund 175 Milliarden m3) geschätzt. Durchaus optimistisch geht ACTING davon aus, dass bis 2025 die LNG-­Exportkapazität 60 Milliarden m3 betragen wird. Derzeit sind es knapp 34 Milliarden m3. Nigeria und Angola, die beiden größten Exporteure, wurden schon genannt. In Äquatorialguinea gibt es seit 2007 ein LNG-Terminal und in Kamerun seit 2018 ein schwimmendes Verflüssigungsterminal (Floating LNG – FLNG). Als Fußnote: E.ON Ruhrgas war vor mehr als zehn Jahren an der Erweiterung des LNG-Projektes in Äquatorialguinea beteiligt. Sie wurde bisher nicht realisiert. LNG aus den genannten Exportländern kommt nach Europa. Vor allem Nigeria, Frankreich und Spanien sind die großen Abnehmerländer. Aus Kamerun sind in den vergangenen Wochen drei LNG-Tanker als Spotmenge in Zeebrugge und Rotterdam angekommen, aber das war eher eine Besonderheit.

Senegal, präziser: Senegal und Mauretanien, sind vermutlich ein ganz gutes Beispiel für die Realität und Visionen von LNG-Exportprojekten südlich der Sahara. 2020 sollte ein FLNG-Terminal in den Gewässern an der Grenze zwischen Senegal und Mauretanien in Betrieb gehen. Die Investitionsentscheidung wurde 2018 getroffen. Basis sind die Gasreserven im Greater Tortue Ahemyim (GTA)-Feld, die 2015 entdeckt wurden. Sie liegen Off­shore in den Gewässern der beiden Länder, die sich auf eine hälftige Aufteilung geeinigt haben. Die förderbaren Reserven betragen insgesamt rund 400 Milliarden m3. Die britische BP ist mit 61 Prozent an dem Projekt beteiligt. 

Die Inbetriebnahme des Terminals verzögerte sich aufgrund der Corona-Pandemie. Es soll nun 2023 in Betrieb gehen. In einer ersten Phase hat es nur eine Kapazität von 2,45 Millionen Tonnen LNG pro Jahr (rund 3,20 Milliarden m3). Mit BP Gas Marketing, der Vertriebsgesellschaft von BP, wurde ein langfristiger Liefervertrag vereinbart. Aber die Ambitionen sind durchaus größer. Aus dem GTA-Projekt sollen LNG-Exporte von insgesamt 10 Millionen Tonnen (13 Milliarden m3) in zwei weiteren Phasen entwickelt werden. Dafür gibt es aber keine Investitionsentscheidung. Ob BP angesichts einer veränderten Unternehmensstrategie mit einem geringeren Fokus auf Öl und Gas sich an der weiteren Entwicklung beteiligen wird, gilt als fraglich. Mostefa Ouki, Senior Research Fellow am Oxford Institute für Energy Studies (OIES), hatte in einem im Oktober 2020 erschienenen Forschungspapier die Konkurrenzfähigkeit von LNG aus dem GTA-Projekt analysiert. Er kam zu dem Ergebnis, diese sei nur gegeben, wenn das Gas für maximal 5,00 US-Dollar/MMBtu (rund 15,00 Euro/MWh) frei LNG-Tanker geliefert werden kann. Die tatsächlichen Kosten sind nicht bekannt. Aber als das Papier geschrieben wurde, hat Ouki den durchschnittlichen Preis an der TTF für den Zeitraum 2025 bis 2030 auf rund 18,00 Euro/MWh geschätzt. Diese Abschätzung wird man heute deutlich nach oben korrigieren müssen, so dass sich die Wettbewerbsfähigkeit für das Projekt erheblich verbessern dürfte. Es muss sich aber ein Investor finden. Es gibt in Senegal und Mauretanien förderbare Reserven nicht nur im GTA-Feld. Basierend auf diesen Reserven gibt es auch zwei weitere LNG-Projekte, jeweils mit einer Kapazität von 10 Millionen Tonnen LNG pro Jahr. Aber auch für diese Projekte muss sich ein Investor finden.

Mosambik: Politisch unruhig – ‚Force Majeure‘ für TotalEnergies-Projekt

Die politischen Schwierigkeiten lassen sich gut in Mosambik feststellen. Mosambik und das Nachbarland Tansania wurden von der Internationalen EnergieAgentur (IEA) schon im World Energy Outlook 2019 – immer noch die Bibel aller Energieprognosen – als die zwei wichtigsten zukünftigen Exportländer Afrikas identifiziert. Bis 2030 könnten die beiden Länder 60 Milliarden m3 Gas produzieren und davon den größten Teil exportieren. In Tansania verhandelt ein Konsortium, in dem unter anderem Shell und Equinor vertreten sind, seit 2016 über den Bau eines LNG-Terminals mit einem Investitionsvolumen von 30 Milliarden US-Dollar. Ende Mai sollte ein für die weitere Projektentwicklung notwendiges Regierungsabkommen unterzeichnet werden, aber das ist eine eigene Geschichte. 

In Mosambik schien es sehr viel schneller zu gehen. Dort gibt es drei Projekte. Ein kleines schwimmendes Terminal „Coral South“, betrieben von dem italienischen Energiekonzern ENI, wird 2022 in Betrieb gehen. Das LNG-Schiff befindet sich in Mosambik. Die Kapazität beträgt 3,4 Millionen Tonnen pro Jahr (4,4 Milliarden m3). Auch bei diesem Projekt ist BP Käufer des Gases. Die Laufzeit des Vertrags beträgt 20 Jahre. Und es gibt zwei große Projekte für feste Terminals: Rovuma mit ExxonMobil als Projektführer und Mozambique LNG mit dem französischen Konzern TotalEnergies als Konsortialführer. Für das Rovuma-Projekt steht die Investitionsentscheidung noch immer aus, obwohl ausreichend Abnahmeverträge existieren – dies sagt zumindest die IEA –, aber für das TotalEnergies-Projekt erfolgte 2019 eine Investitionsentscheidung und dann 2020 auch der Baubeginn. 2024 sollte das Terminal in Betrieb gehen. Aber im Frühjahr 2021 hat Total­Energies Force Majeure für das 20 Milliarden US-Dollar-Projekt erklärt. In der Region Cabo Delgado im Süden Mosambiks, wo sich das Projekt befindet, kam es zu Anschlägen wohl islamistischer Gruppen, von denen auch das Projekt betroffen war. Ob und wann das Projekt wieder aufgenommen wird, ist offen.

In einer Reihe weiterer Länder gibt es ausreichend große Gasvorkommen und Exportprojekte. ENI hat im April mit der Regierung der Republik Kongo eine Absichtserklärung zur Erhöhung der Gasproduktion und zum Bau eines LNG-Terminals mit einer Kapazität von 3 Millionen Tonnen (rund 4 Milliarden m3) unterzeichnet. Schon 2023 soll das Terminal in Betrieb gehen. Bei den Exportpotenzialen sollte man nie vergessen, dass die afrikanischen Länder vordringlich ihre heimischen Gasmärkte entwickeln wollen und müssen und die Exportpotenziale von dieser einheimischen Entwicklung abhän­gen. Dabei sind noch weite Wege zu gehen.

Was Vertreter der afrikanischen Gaswirtschaft natürlich umtreibt, ist der Widerspruch – gerade in Europa – des kurzfristigen Bedarfs für zusätzliche Erdgasmengen und dem mittel- bis langfristigen Ziel, Erdgas aus dem Energiemix herauszunehmen. So werden die Diskussionen in Brüssel, ob denn Erdgas im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig einzustufen ist oder nicht, sehr genau und mit Sorge verfolgt. Der Vorschlag der Kommission von Anfang Januar, Gas als nachhaltig einzustufen, wurde von der „Afrikanischen Energiekammer“ mit Erleichterung begrüßt. Aber das Thema ist nach wie vor nicht endgültig geklärt. Mit dem Ukrainekrieg und dem EU-Ziel einer Unabhängigkeit von russischem Gas rückt für die EU wieder stärker eine mögliche Kooperation der EU mit Afrika in den Vordergrund, um Alternativen zu russischem Gas zu schaffen. In einer Stellungnahme dazu vom 1. Juni begrüßt die Afrikanische Energiekammer die neue EU-Perspektive, betont aber zugleich, sie müsse auch einen Beitrag leisten, die Gasmärkte in Afrika zu entwickeln und so die afrikanische Energiearmut zu bekämpfen. Und auch in der afrikanischen Erdgaswirtschaft wird eine zukünftige Transformation hin zu Wasserstoff diskutiert. Aber erst als zweiter Schritt. Wobei – auch dies gehört mit zum Bild der afrikanischen Energiewirtschaft – es durchaus kritische Stimmen in Afrika zum Ausbau der Erdgasproduktion und dem Export gibt. Mohamed Adow, Gründer von Power Shift Africa, einem Think-Tank in Nairobi, hat sie in einem Gastbeitrag für „DIE ZEIT“ vom 9. Juni geäußert. 

Ein Aufbau neuer Lieferketten ist in Afrika grundsätzlich möglich. Dazu müsste vermutlich die deutsche Regierung bereit sein, finanzielle Risiken zu übernehmen und auch mit den politischen Herausforderungen in Ländern, in denen sich die Reserven befinden, umgehen. Zudem müssten Deutschland und Europa auch einen Beitrag zur Entwicklung eines afrikanischen Gasmarktes leisten.

Erdgas
Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann