Rund 56 Prozent des deutschen Energiebedarfs fließen in den Wärmesektor. Doch der steht bis dato nur zu 15 Prozent auf regenerativen Füßen. In einer gemeinsamen Roadmap haben Forscher aus der Fraunhofer-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft die tiefe Geothermie ...
Rund 56 Prozent des deutschen Energiebedarfs fließen in den Wärmesektor. Doch der steht bis dato nur zu 15 Prozent auf regenerativen Füßen. In einer gemeinsamen Roadmap haben Forscher aus der Fraunhofer-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft die tiefe Geothermie in den Blick genommen, um auszuloten, wie viel Potenzial für eine nachhaltige Wärmeversorgung hier enthalten sein könnte. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass mehr als ein Viertel des jährlichen Wärmebedarfs, also über 300 TWh, durch Tiefengeothermie abgedeckt werden kann, und liefern auch Handlungsempfehlungen, wie dieses Ziel zu erreichen wäre.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die hydrothermalen Reservoirs, also thermalwasserführende Gesteinsschichten in Tiefenlagen zwischen 400 und 5.000 Metern mit einer Wassertemperatur bis etwa 180 Grad Celsius. Das nutzbare Energiepotenzial aus diesen Quellen beziffert Rolf Bracke, Leiter des Fraunhofer Instituts für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) und Mitherausgeber der Roadmap, auf 220 bis 430 TWh pro Jahr.
„Es ist genügend Energie im Untergrund vorhanden, und die niedrig hängenden Früchte der Tiefengeothermie sollten schnellstens erschlossen werden“, so Bracke, der unterstrich, dass eine Dekarbonisierung des Wärmesektors in Deutschland ohne Geothermie nicht möglich sei. Positiv sei, dass in den Regionen mit hohem geothermischen Potenzial wie das süddeutsche Molassebecken im Großraum München, im Oberrheingraben, im norddeutschen Becken und in der Rhein-Ruhr-Region im allgemeinen auch eine hohe Bevölkerungsdichte mit entsprechendem Wärmebedarf existiere.
Von den gut 80 Millionen Einwohnern hierzulande lebten rund drei Viertel in städtischen Strukturen, und da ein Großteil der Städte mit Fernwärmenetzen ausgestattet sei, biete sich hier besonders die Transformation des kommunalen Wärmenetzes mit Hilfe der Geothermie an. „Hier werden zukünftig Verbundwärmesysteme ausgebaut werden, und hier kann Geothermie eine große Rolle spielen.“ Der nachhaltige Ausbau von Geothermie sei daher eine Investition in die Städte. Man sehe im kommunalen Bereich einen Bedarf von 170 TWh/a für die tiefe Geothermie.
Aber auch für die industrielle Prozesswärme für Branchen, die mit einem Temperaturniveau arbeiteten, das von der Geothermie dargestellt werden könne, sieht die Studie ein großes Potenzial von 130 TWh/a - das entspricht einem Viertel des industriellen Wärmebedarfs. Auch als Wärmespeicher wird der Geothermie eine bedeutende Rolle bescheinigt. Hier könnten über 500 TWh/a einfließen, die Speicher seien so auszulegen, dass sie in die Wärmenetze zu integrieren seien.
Derzeit, so Bracke, sind in Deutschland 42 Anlagen der tiefen Geothermie in Betrieb, die 360 MW thermische und 45 MW elektrische Leistung haben. „Die Anlagen sind seit vielen Jahren erfolgreich in Betrieb, in kommunale Systeme eingebunden und arbeiten mit 25 bis 30 Euro/MWh zu wettbewerbsfähigen Erzeugungskosten.“ Aber das Hochskalieren müsse dennoch schnell geschehen.
In der Studie wird davon ausgegangen, dass ein Ausbau der installierten Kapazitäten von heute nicht einmal 400 MW auf 70 GW erforderlich sein wird. Empfohlen wird dabei, bis 2030 jährlich um 100 TWh auszubauen und bis 2040/45 um 300 TWh. Dreistellige Milliardensummen kommen dabei ins Spiel: „Wir müssen schnell Investitionsentscheidungen treffen, die in einer Größenordnung von 2 bis 2,5 Milliarden Euro je GW installierter Leistung liegen.“
Schnell müsse sich auch die Technologie noch auf den Weg machen, um das Ziel zu erreichen. „Wenn wir zukünftig 300 TWh jährlich ausbauen wollen, dann muss auch der Sprung von einer mehr manufakturnahen Fertigung der Anlagen auf eine industrielle Kapazität kommen.“ In den kommenden Jahren müssten neue und bessere Bohrverfahren im Markt etabliert werden, zudem müsse sich mehr Wettbewerb bei Bohrloch- und Hochtemperaturwärmepumpen und die Integration von Speichern einstellen. Und mit Blick auf die neue Bundesregierung setzt die Roadmap darauf, dass nun klare Ausbauziele für die Geothermie formuliert und diese auch entsprechend regulatorisch unterlegt werden.
Als wichtig wird in der Roadmap angesehen, die wirtschaftlichen Risiken wie Exploration von tiefer Geothermie für kleinere und mittlere Unternehmen wie Stadtwerke zu begrenzen. Dazu brauche es Finanzinstrumente zum Risikoausgleich zwischen den Kommunen in Form von staatlichen Versicherungen oder Fonds, die sich an Projekten finanziell beteiligten. Zudem solle der Bund die Förderung für effiziente Wärmenetze auf über 1 Milliarde Euro aufstocken und die Länder ein flächendeckendes geophysikalisches Erkundungsprogramm aufsetzen, um das Fündigkeitsrisiko der Kommunen zu senken. Nach Angaben von Bracke sind pro GW installierter Leistung etwa 100 Tiefbohrungen nötig.
Derzeit sind hierzulande in der Geothermie-Branche rund 20.000 Personen beschäftigt (Stand 2016). Den Jahresumsatz liegt bei etwa 1,3 Milliarden Euro. Ein Hochfahren der Geothermie brächte zahlreiche neue Arbeitsplätze, so Bracke. „Man kann von 5 bis 10 Vollzeitstellen je MW installierter Leistung ausgehen.“