Auf dem Gas stehen – das dritte H2 Forum in Berlin war gut besucht
Accelerating Europes hydrogen economy, unter diesem Motto stand das diesjährige H2 Forum am 6. und 7. Juni in Berlin. 55 hochkarätige Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft bildeten in ihren Vorträgen und Panel Diskussions in aller Anschaulichkeit sowohl die enorme Bandbreite des Themas als auch seine Komplexität und Vielschichtigkeit ab.
Beste Gelegenheit also einen umfassenden Überblick zu gewinnen, benachbarte bzw. sich möglicherweise einander ergänzende Projekte zu identifizieren und – erklärtes Ziel der Veranstaltung – neue Partnerschaften zu bilden. Denn so viel ist zunächst einmal klar: Der viel beschworene Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist ohne die Expertise aus unterschiedlichsten Disziplinen und Branchen nicht zu bewältigen. Zugleich von entscheidender Bedeutung ist auch der Austausch und Ausgleich durchaus gegebener sehr divergierende Standpunkte und Sichtweisen.
Uneinheitlich fiel beispielsweise die Reflexion der Entwicklung der Branche in den letzten Jahren aus: Während sich Dr. Axel Wiedteld, CEO der Uniper Hydrogen, eher zerknirscht zeigte, dass er vor Jahren die Geschwindigkeit des Aufbaus der H2-Wirtschaft noch etwas naiv gesehen habe, zeigte sich Sunfire CEO Nils Aldag zufrieden, dass man schon so viel erreicht habe und befand das Niveau von Verständnis und Bekanntheit als bemerkenswert. Weitgehende Einigkeit bestand unter den Vortragenden insbesondere in der Einschätzung des Ukraine-Kriegs und der damit in direktem Zusammenhang stehenden Energiekrise als Katalysator für den derzeit geradezu entfesselten Hochlauf vielfältigster H2-Aktivitäten und, wovon die Leiterin des Climate Office der Europäischen Investment Bank Alexandra Boyonova berichten konnte, eine gesteigerte Investitionsbereitschaft. Als weiteren entscheidenden Faktor, gab sich Filip Smeets, CCO der Nel Hydrogen überzeugt, dürfe man bei dieser Einschätzung natürlich auch nicht die sich allmählich zuspitzende Klimakrise außen vor lassen.
Mit Hilfe der für die Interaktion mit den Kongressteilnehmern herangezogenen Slido-App zu ihrer Einschätzung der Weiterentwicklung der Wasserstoff-Wirtschaft in den nächsten 3 Jahren befragt, zeigte sich dann auch eine überwältigende Mehrheit von über 80% optimistisch bis sehr optimistisch hinsichtlich der weiteren Entwicklung.
Unzureichende Umsetzung
Dennoch sehen viele der Experten einen Nachholbedarf auf dem Feld der Realisierung. Während Charlotte Kirk, Bereichsleiterin Science and Technology bei Fortescue Future Industries darauf hinwies, dass sich der neue Industriezweig gerade aus dem Nichts formiert, mahnte Dr. Karl-Peter Thelen, Pressesprecher des Energy Hub Wilhelmshaven, man müsse endlich vom PowerPoint in die Realität kommen. Auch Ana Quelhas, Managing Director for Hydrogen bei DEP Renewables, sorgte sich, die Erwartungen gingen nicht konform mit Realität, Regulierungen und Politik seien einfach nicht schnell genug. So gebe es derzeit kaum finale Investitionsentscheidungen. Dem hielt Boyonova entgegen, dass die Europäische Investment Bank im letzten Jahr bereits 1 Milliarde Euro in H2 Projekte investiert habe und darüber hinaus nicht nur Geldmittel sondern auch Beratung zur Verfügung stelle.
Dennoch sind erste Projekte längst in Arbeit: So berichtete Dirk Manske, zuständig für regulatorische Angelegenheiten und Energiepolitik beim Gasversorger Ontras von der derzeit laufenden Umstellung einer ersten konventionellen Pipeline auf den H2-Betrieb. Man habe sich dazu bewusst eine bereits 40 Jahre alte Gasleitung ausgesucht, um Erfahrungswerte für die viel diskutierte sukzessive Umstellung des Erdgasnetzes auf Wasserstoff zu gewinnen. Schließlich müssten Kompressoren, Armaturen und Beschichtungen ersetzt werden. Die Leitung soll Teil des im Dialog mit der Politik vorangetriebenen Starting Grid werden, dessen Grundzüge ab Oktober vorgestellt werden sollen.
Auch Jens Sprotte, Vice President Business Develoment bei Alstom konnte mit längst im Hier und Jetzt angekommenen 42 Wasserstoff-Zügen punkten, die bei mehreren Kunden in Deutschland im Betrieb stehen und kündigte für das Jahresende die Präsentation einer ersten H2-Rangierlokomotiven an.
Eine im wahrsten Sinne des Wortes größere Wegstrecke hat da noch Ulrik Olbjorn, Projektleiter der Wasserstoffversorgung Europas bei Equinor, mit den Planungen der Wasserstoff-Pipeline durch die Nordsee von Norwegen nach Wilhelmshaven vor sich.
Kaum verwunderlich insofern, dass bei der in diesem Zusammenhang durchgeführten Slido-Umfrage, welches Land sich am ehesten für eine H2-Allianz mit Deutschland eigne, ein Großteil der Konferenzteilnehmer Norwegen an der Spitze sah, gefolgt von Spanien/Chile auf Platz zwei und Dänemark/Niederlande auf dem 3. Rang.
Versorgung/Infrastruktur
Das lenkt den Blick auf einen anderen Aspekt, den einer weiteren Slido-Unfrage zufolge ein großer Teil der Konferenzbesucher als eine der größten Herausforderungen für die im Entstehen begriffene H2-Ära ansehen: die unzureichende Infrastruktur und die begrenzten Produktionskapazitäten.
Eine der zentrale Fragen dabei schilderte eindringlich Ulf Gehrckens, Stellvertretender Geschäftsführer beim Aluminium-Produzenten Aurubis, der zu bedenken gab, dass der Preis für Kupfer eben weltweite Gültigkeit habe. Strompreise wie in Marokko, die nur ein Drittel des Deutschen Niveaus erreichen, bedeuteten einen enormen Standortnachteil. Aurubis habe in der Vergangenheit mehrfach versucht grünes Kupfer zu Produzieren, dessen Preis nur moderat über dem des konventionell hergestellten Kupfers lag. Doch niemand habe den Preisaufschlag bezahlen wollen. Noch krasser fiel der Vergleich der Stromerzeugungskosten beim CEO von Tree Energy Solutions-H2, Marco Alvera, aus: Während diese in energiereichen Ländern bei etwa 10 Euro pro MWh lägen, erreichten sie in Deutschland gut und gerne 150 Euro pro MWh.
Diese Gegenüberstellung an sich hat aber, zu diesem Schluss kommt Gilles Le Van, stellvertretender Geschäftsführer der Abteilung Large Industries & Energy Transition bei Air Liquide, keine allzu große Aussagekraft. Man müsse eben auch die Kosten für den Transport wie die H2-Verflüssigung oder die Ammoniak-Herstellung in den Blick nehmen. Am Ende sei importierter Wasserstoff, wenn er in Deutschland ready to use zur Verfügung steht, nämlich gleich teuer. Im übrigen rechnet EWE CTO Dr. Urban Keussen vor, sei der im Ausland produzierte Strom nicht grundsätzlich günstiger, wenn man die Stunden in Betracht zieht, in denen der Strom hierzulande wegen eines zeitweiligen Energieüberschusses sehr günstig ist. In diesem Zusammenhang sei höchst ratsam, den Wasserstoff eben genau dort zu produzieren, wo der Bedarf gegeben sei, wie PNE CEO Markus Lesser, Nadine Kanu vom Bundesverband Erneuerbare Energie feststellten.
Import und Transport
Dennoch tendiert die allgemeine Einschätzung dahin, dass der Löwenanteil des künftigen Wasserstoffbedarfs durch Importe gedeckt werden muss. Diese Prognose bekräftigte auch Dr. Jürgen Friedrich vom Ministerium für Wirtschaft und Klimapolitik. Angesichts des hohen Stands der Industrialisierung in Deutschland rechne man im Ministerium mit einem Importvolumen 60-70% des Gesamtbedarfs. Die entsprechende Importstrategie sei gerade im Entstehen begriffen. Als absehbar wichtige Partnerländer nannte Friedrich vor allem Morocco und Kanada.
Wäre bei ersterem eine Pipeline nach Spanien durchaus vorstellbar, bliebe bei letzterem ausschließlich der Schiffstransport, der nach einer in einer weiteren Umfrage validierten allgemeinen Einschätzung aller Voraussicht nach entweder auf der Basis von Ammoniak oder von Methanol erfolgen dürfte. Immerhin würden, so Campfire-Speaker Dr. Angela Kruth bereits jetzt mehr als 18 Millionen Tonnen des Stoffes jährlich verschifft. Japan sei im übrigen weltweiter Vorreiter bei der Ammoniak-Verbrennung in Turbinen. Auch die Entwicklung von Motoren für Ammoniak-Verbrennung schreite voran. Hingegen stecke die Entwicklung von Techniken für den Transport reinen Wasserstoffs, so Karl-Peter Thelen vom Energy Hub Wilhelmshaven, noch in den Kinderschuhen. Ein erstes dazu geeignetes Schiff werde derzeit von Kawasaki entwickelt.
Hinreichende Beachtung verdient haben vor diesem Hintergrund auch einige auf dem H2 Forum vorgestellte Ansätze, die in Teilen auf die weitere Nutzung bestehender Infrastruktur oder Technologie ausgerichtet sind.
Blue Hydrogen
Sich durchaus bewusst, mit seinem Beitrag möglicherweise als Bad Guy anzuecken, stellte auch Andreas Möller, stellvertretender Geschäftsführer der Abteilung Hydrogen & Carbon Management bei Wintershall Dea einen Weg vor, mit Hilfe klassischer Verfahren aus unterschiedlichen Branchen die Entwicklung der Wasserstoffindustrie anzuschieben. Anknüpfend an die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung, die bis 2030 einen Anstieg des jährlichen Wasserstoffbedarfs auf 90 TWh vorhersagt, der bis 2045 sogar auf mehr als 300 TWh steigen soll, ergebe sich hier eine enorme Kapazitätslücke in der Produktion, die durch Importe kaum auszugleichen sei. Kombiniere man jedoch die althergebrachte Erdgasbasierte Wasserstoffherstellung mit der modernen Technik des Carbon Capture und Storage, ließe sich hier klimaneutral Abhilfe schaffen.
e-NG
Genau den entgegengesetzten Weg verfolgt der Einsatz von sogenanntem e-NG, dessen Bezeichnung vom Kürzel LNG abgeleitet ist. Erzeugt aus elektrolytisch erzeugten Wasserstoff und CO2 könnte dieses künstlich erzeugte Methan mit herkömmlichen LNG-Tankern transportiert und über die Erdgas-Infrastruktur zu den Verbrauchern gelangen, die wiederum ihre Pkw und Lkw damit betreiben könnten. So zumindest stellt sich Marco Alvera von Tree Energy Solutions-H2 die klimaneutrale Transformation zahlreicher Industriezweige vor, nicht ohne darauf hinzuweisen, das Japan als Land mit dem umfassendsten LNG-Netz weltweit diesen Umstieg gerade vollzieht.
Öl
Einen ähnlichen Grundgedanken verfolgt auch das Unternehmen Hydrogenious LOHC Technologies:
Das LOHC-Verfahren basiert auf der Wasserstoff-Speicherung in Öl, wie Ralf Ott, Leiter der Abteilung Politik und Regulierung referierte und stehe ebenso wie e-NG für die Nutzung der bestehenden Öl-Infrastruktur. So ließen sich etwa konventionelle Diesel-Tanks für die Lagerung nutzen. Tanker könnten zudem auf dem Transportweg Wasserstoff aus LOHC zurückwandeln und für einen Brennstoffzellenantrieb nutzen.
e-Fuels
Auf ein nicht ganz unwesentliches Detail kam auch Iveco CEO Gerrit Marx im Hinblick auf eine mögliche H2-Infrastruktur für den Transportsektor zu sprechen: Für den Betrieb einer Brennstoffzelle sei nämlich hochreiner Wasserstoff nötig, der daher eben nicht über frühere Erdgasleitungen verteilbar sei. Darüber hinaus wären für den Einbau in schweren Trucks Brennstoffzellen mit einer Lebensdauer von 20.000 Stunden statt der bislang erreichten 6.000 Stunden erforderlich. Einzig erfolgversprechender Weg zur Dekarbonisierung des Transportsektors sei der Einsatz von E-Fuels.
Den gleichen Weg geht, wie die stellvertretende Geschäftsführerin der Abteilung Research and Technology bei Airbus Operations, Nicole Dreyer-Langley, berichtete, die Luftfahrtbranche. Triebwerke moderner Jets vertragen bereits beachtliche Beimengungen von Wasserstoff und könnten so den CO2-Ausstoß spürbar reduzieren. Ein Jet mit reinem Wasserstoffantrieb bleibe aber einstweilen Utopie.
Haupthindernisse/Risiken
Auch für einen weiteren dominierenden Themenkomplex lieferte einer der Vortragenden, Alstom-Mann Sprotte, ein anschauliches Beispiel: Seit 4 Jahren, so schilderte er, bestehe für die dort eingesetzten Wasserstoff-Züge in Bremervörde eine Tankstelle – deren Nutzung auch durch Busse und Lkw würde aber wegen fehlender Bestimmungen bis heute geblockt. Und das ist der Punkt: Das Fehlen verbindlicher Regelungen – darüber besteht in der gesamten Wasserstoffwirtschaft unumstrittene Einigkeit – wird unter einer ganzen Reihe von Faktoren vordringlich als derjenige eingeschätzt, der eine erfolgreiche Implementierung einer Wasserstoff-Infrastruktur behindert. Daneben rangieren Standardisierung und Interoperabilität über Länder und Regionen hinweg sowie eine konstruktive Zusammenarbeit auf den Plätzen zwei und drei einer dazu durchgeführten Slido-Umfrage.
In den Fokus rückt dabei vor allem die in einer jüngst in Kraft getretenen EU-Verordnung festgelegte Bestimmung, ab wann Wasserstoff wirklich als „grün“ anzusehen ist. Hierzu äußerten nicht nur Alexander Voigt, Vorstand und Mitgründer von HH2E „nicht so kleinteilige Regelungen wie man grüner Wasserstoff definieren wolle“ als auch Keussen von der EWE „Keep it simple!“ oder Air-Liquide-Vize Le Van ihre Skepsis.
Hinsichtlich der konkret daraus ableitbaren Aufgaben sahen die meisten Vortragenden in erster Linie die Politik in der Pflicht: So forderte PNO-CEO Lesser dringend schnellere Zulassungsverfahren an, Uniper-CEO Axel Wiedfeld sah vor allem Pragmatismus gefragt während Elena Hof, PR-Managerin bei JET H2 Energy, abgesehen von einem regulatorischen Setting auch die Vergleichbarkeit dieser Regeln in den Fokus nahm. Unterm Strich kam schließlich Andreas Janssen, Leiter der Abteilung Hydrogen Mobility bei Shell zu der Einschätzung, die Wichtigkeit von Regulierung seitens der Politik kann nicht überschätzt werden
Marktetablierung
Eine Frage, die ebenfalls eine große Zahl von Akteuren in der Branche umtreibt, ist die nach einem vorhersehbaren Preisniveau. So wollte nicht nur Jochen Steinbauer, Plattform Direktor H2 Technologies for Regional Trains bei Siemens, wissen, wie der Wasserstoff-Preis in drei Jahren aussieht, auch Volker Hasenberg, Manager der Internationalen H2-Strategie bei Daimler Trucks, mahnte für den Hochlauf des Wirtschaftszweigs einen wirtschaftlichen H2-Preis an und Dennis Wehmeyer von Gascade legte sich auf ein vertretbares Preisniveau von höchstens 3Euro pro Kilo fest. Wohin sich die Preise letztlich entwickeln, die Antwort darauf weiß derzeit niemand zuverlässig zu geben. Nicht zuletzt weil sie irgendwo vergraben liegt im Spannungsfeld von Strompreisen, Marktetablierung und Marktvolumen. Denn einerseits würde, wie PNE CEO Lesser prognostizierte, ohne Preise wird keine Investition getätigt, andererseits sei es sicher, wie HH2E-Mitgründer Voigt bekräftigte, dass die Kosten nicht durch Magie sondern nur durch Vergrößern des Marktes sinken würden. Außerdem spiele noch ein weiterer Faktor in diese Gemengelage hinein:
Denn noch packen die Banken das Thema eben auch nur mit spitzen Fingern an. Wie Nadine Kanu vom BEE formulierte, hätten sie bislang noch das Problem H2 Anlagen als Wert anzusehen, ein Umstand, den auch Alvera mit seiner Aussage, Wasserstoff sei derzeit eben nicht „bankable“ unterstrich. Kernpunkt seien dabei in erster Linie, so Dr. Christine Falken-Großer, Leiterin der Abteilung Hydrogen im Wirtschaftsministerium, Garantien und Risikoübernahmen, ein Problem, dass sich ansonsten nur durch Skalierung und Verteilung der Risiken auf mehrere Schultern meistern ließe, wie sich Christian Pho Duc, CTO der Smartenergy Group, überzeugt gab.
In einer verstärkten Zusammenarbeit sehen denn auch die meisten Akteure der Branche die beste Strategie für die kommenden Herausforderungen. Dass das Landesweit anerkannt ist belegtes nichts deutlicher, als die Zahl internationaler (wenn auch bislang meist bilateraler) Partnerschaften. Hier liege Deutschland weltweit in an der Spitze, versicherte Maria Kusch vom World Energy Council, dicht gefolgt von Korea und Japan.